„Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran“

„Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran“

Podcast - Brunners Welt | 12.07.2024 | Dauer: 00:04:10 | SR kultur - Peter Tiefenbrunner

Themen

Nicht dass Sie denken, ich fände vieles in der deutschen Politik fabelhaft. Aber Annalenas neuestes Statement zum Thema Kanzlerkandidatur hat mich doch stark an den alten La Fontaine erinnert. Nein, nicht an den. An den noch älteren, den französischen Fabeldichter. Speziell an seine Geschichte von dem Fuchs, der hoch oben – zu hoch für ihn – die leckersten Trauben hängen sah. „Das wär' ein Mahl, recht nach des armen Schelms Geschmack! / Doch da er sie nicht konnt' erjagen, / Sprach er: ‚Sie sind zu grün, nur gut für Lumpenpack!‘ / Tat er nicht besser als zu klagen?“ Weniger poetisch aber ähnlich ziseliert formulierte Frau Baerbock für CNN: „In diesen Krisenzeiten bedeutet politische Verantwortung, dass eine Außenministerin nicht in einer Kanzlerkandidatur gebunden ist.“ Gong, Fanfare, Trommelwirbel: Da war’s raus: Sie kandidiert nicht im voraussichtlich heißen Herbst 2025. Und zwar aus staatsfraulicher Verantwortung – nicht etwa, weil die Chancen auf eine Kanzlerschaft nach heutigem Stand wohl ähnlich niedrig sind wie die Aussicht auf eine Wiederholung Deutschland – Spanien wegen dem Ding mit dem Elfmeter. Die Chancen auf irgendein Regierungsamt sind wohl auch nicht besser. So what – tat sie nicht besser als zu klagen? Außerdem: Gut möglich, dass sie wirklich das Gefühl hat, die gesamte Last der globalen Kriege und Krisen ganz allein schultern zu müssen und zu können. Zudem: Die Zeichen in der Politik stehen allgemein recht deutlich auf Rückzug: Malu Dreyer, die aus sehr gut verständlichen Gründen ihr Amt als Ministerpräsidentin aufgibt. Renate Künast, die alte grüne Kämpin, die nun auch Platz machen will „für jüngere“. Saar-Abgeordnete Nadine Schön zieht sich als Bundestagsabgeordnete zurück. Joe Biden – doch, die Zeichen stehen auch für ihn auf Rückzug, er sieht sie nur nicht, altersbedingt vermutlich. Und zurück geht’s auch für die SPD. Nicht nur was die Umfragewerte, sondern auch, was ihre Zustimmung zum „Bürgergeld-Kompromiss“ angeht. Eine eingesprungene Rolle rückwärts mit Überschlag in die schlechten alten Zeiten von Hartz IV und Niedriglohnsektor. Populistische Symbolpolitik aus der untersten Schublade: Alle Fachleute sind sich einig, dass die neuen Sanktionen keine nennenswerten Einsparungen bringen werden. Ohnehin sind es nur wenige Prozente der Bürgergeld-EmpfängerInnen, die tatsächlich nicht daran mitwirken wollen, in Arbeit zu kommen. Schwarzarbeit war auch schon bislang strafbar und wurde, soweit es den personell ausgedünnten Behörden möglich war, verfolgt. Aber für die AfD-gefährdete Voksseele klingt das doch prima nach Gerechtigkeit. Und dann noch die Zumutbarkeit eines Arbeitsplatzes, für den ein bis zu dreistündiges Pendeln erforderlich ist. Das haut rein, so zeigen sie es den notorischen Faulpelzen in der sozialen Hängematte! Wenn der vermutlich finanziell klamme bisherige Arbeitslose das Pendeln auch noch per Bahn und ÖPNV bewältigen muss, können aus den drei Stunden leicht auch fünf werden. Zumutbar – findet bekanntlich auch die Deutsche Bahn. Vorwärts nimmer, rückwärts immer. Auch mir gehen gelegentlich schon Gedanken nach einem Rückzug aus dem kabarettistischen Alltagsgeschäft durch den graugewordenen Kopf. Meine Nachbarin Barscheck meint ja, dazu wäre die demnächst anstehende 1000. Ausgabe von „Brunners Welt“ ein guter Zeitpunkt. Dann wär auch Zeit für die nächste größere Reise. Doch, klingt nicht schlecht.

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