Buchentriebe

Buchentriebe

Audio | 12.04.2025 | Dauer: 00:04:14 | SR kultur - (c) SR

Themen

Ich will ein Märchen erzählen. Leider habe ich vergessen, wie das Märchen wirklich ging. Geschichten, die einen als Kind berühren, vergisst man nicht. Aber ich war schon erwachsen. Jemand er­zählte mir, warum die Buchen ihre alten Blätter vom Vorjahr erst vollständig abwerfen, wenn die jungen Triebe sich bereits entfal­ten. Jedes Jahr Anfang April sehe ich die Buchenhecke in meinem Garten austreiben und denke an das Märchen. Ich weiß noch, es ging um einen Handel mit dem Teufel. Wer mit dem Teufel handelt, der setzt seine Seele ein. Aber war’s ein jun­ger Mann oder eine Frau? Vergessen. Auch, welch große Not sie oder ihn zu diesem Handel getrieben hat. Nur, dass die Seele des jun­gen Menschen schon verkauft war und verloren. Abzuholen, wenn die Bäume im Wald kein Laub mehr tragen. Der Herbst kam und der Winter zog ins Land, und da war Angst, den Frühling nicht mehr zu erleben. Doch dann taten sich die Bäume zusammen, um den Teufel auszutricksen. Die Buchen beschlossen, ihr altes Laub zu tragen, bis der Wald vor frischem Grün schon wieder strahlt. So schneite es auf braune Blätter. Der Schnee schmolz im März, und der Bärlauch bedeckte bald den Boden, aber die Buchen trugen neben ihrem jungen Grün noch immer das trocken gewordene Kleid eines vergange­nen Sommers. Und der der Teufel… der ging leer aus. Die Geschichte erzählt vom Leben, das den Tod besiegt. Die Zeiten von Wachstum und Ruhe der Natur greifen ineinander. So entsteht kein toter Moment, in dem der Teufel seine Chance be­käme. Das Märchen erzählt vom Zusammenhalt der Schöpfung. Pflanzen und Menschen sind miteinander verbunden, voneinan­der abhängig. Brauchen Solidarität. Und drittens erhalten die scheinbar nutz­los gewordenen Blätter eines vergangenen Frühlings neue Be­deutung. Welch ein schönes Bild, wenn man es auf Generationen von uns Menschen überträgt. Wie oft ist es ein Segen, dass Groß­eltern da sind, wenn Enkelkinder Unterstützung auf ihrem Weg ins Leben brauchen. Und sei es, indem sie ihnen alte Märchen erzählen, vom Überleben in kalter Zeit. Last but not least: Die Geschichte ist auch eine volkstümliche Parallele zu dem, was Christen von der Auferstehung sagen. Alles fängt neu an, als Menschen berichten, dass sie Jesus begegnet sind. Obwohl er doch tot sein sollte. In ihren Herzen noch die Bilder des hingerichteten Wanderpredigers. In ihren Augen neue Eindrücke von berührenden und begeisternden Momenten mit Fremden, in denen sie Jesus wiedererkennen. Etwa bei den Jüngern, die nach Emmaus wanden und in ihrem Begleiter erst am Ende, als er das Brot bricht, Jesus erkennen. Auch hier greifen das Gestern und der Morgen ineinander, damit kein toter Moment entsteht, in dem das Böse seine Chance bekäme. In meinem Garten zupfe ich die letzten Blätter von der Buchenhecke. Frisches Grün, wohin ich sehe. Beim Nachbar läuft das Radio. Die Nachrichten erzählen von Wut und Gewalt, vom Glauben an Macht und Überlegenheit. Sie erzählen vom Untergang einer Weltordnung. Einer Ordnung, die alles andere als himm­lisch war, aber meiner Generation doch Sicherheit und Frieden brachte. Jetzt scheint eine neue Epoche anzubrechen. Oder nur ein langer Winter? Ein paar Blätter von gestern will ich hängen lassen, an meiner Buchenhecke. Will selbst den Teufel austricksen. Will erzählen, von dem, was mir lieb und wichtig war. Wie ein altes Blatt. Bis neue Triebe grünen, von Gottes Liebe zu uns Menschen.

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